Sunday 30 September 2007

Otl Aicher, Bilderbogen zu Wilhelm von Ockham, 1986










Otl Aicher, Bilderbogen zu Wilhelm von Ockhaum, 1986
Ausstellung im Kloster Fürstenfeld


In Zusammenarbeit mit Reinfriede Bettrich und Sophi von Seidlein entwarf Otl Aicher (1922 - 1991), deutscher Graphiker und Autor, diesen Bilderbogen-Zyklus 1986 für eine Ausstellung über den mittelalterlichen Franziskanerbruder und bedeutenden mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham für eine Bayerische Versicherungsgesellschaft.
Otl Aicher erzählt das Leben und einzelne Aspekte der Theorien Wilhelm von Ockhams, der von der päpstlichen Inquisition fliehen musste und 1328 am Hof des bayrischen Königs Ludwig des Bayern Asyl fand, in einem Zyklus von dreißig großen Plakaten, die nicht gemalt oder gedruckt sind, sondern deren Details aus eigens angefertigtem Farbpapier geschnitten und zu einem Gesamtbild zusammengefügt sind. Aichers graphisches Abstraktionsvermögen wird dabei genauso deutlich, wie sein Gespür für Farben, die hier inhaltsbezogen gegeneinander gesetzt werden.

Die Bezeichnung der Plakate als "Bilderbogen" stammt dabei von Aicher selbst, so dass sein Zyklus unmittelbar und ganz bewusst an jene Zeitungen und druckgraphischen Blätter anknüpft, die seit dem Mittelalter der Belehrung des analphabetischen Volkes dienten und neben anderem die Leidensgeschichte Christi, Szenen aus Heiligenlegenden und Tugend- und Lasterkataloge verbildlichten. Der Begriff "Bilderbogen" kommt dann erst im 19. Jahrhundert auf, als sich die Themenkataloge der Bilderbogen erheblich erweiterten. Aichers Zyklus ist thematisch eher den mittelalterlichen Bilderbogen verpflichtet, erzählt aber über einen Zyklus von Einzelblättern, nicht auf einem einzelnen Blatt.

Dennoch weist die programmatisch gewählte Bezeichnung des Mediums als Bilderbogen auf ein wichtiges Motiv von Aichers Arbeit voraus: seine Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Und so sind Aichers Bilderbogen nicht nur in ihrer Herstellungstechnik faszinierend, in den reduzierten Formen, dem unterschiedlichen Erzählen im Bild (beispielsweise werden einzelne Szenen in Leisten übereinander in die Fläche aufgelöst), oder den leuchtenden Farbkontrasten, sondern vor allem auch wegen der historischen Spurensuche des Künstlers.
Da sind nämlich nicht nur die Gesichter der einzelnen Hauptakteure mit historischem Quellenmaterial abgeglichen, oder die einzelnen Stadtumrisse oder Architekturen am Original orientiert, es werden auch allenthalben Motive aus der Kunstgeschichte zitiert. Man sieht beispielsweise Gottvater, der die Welt mit einem Zirkel entwirft, wie aus der Bible moralisé bekannt, oder es begegnet Dürers schlafender Landsknecht wieder, hier wie dort mit dem Pferdehintern in Richtung des Betrachters gewendet. Und wenn man sich darauf einlässt, ist noch eine ganze Menge mehr zu entdecken.

Literaturtipp: Aicher, Otl: Wilhelm von Ockham. Das Risiko modern zu denken. München: Callwey, 1986.

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